Neues Urteil des BAG zu als "Anlernverhältnis" getarnten Berufsausbildungsverhältnissen

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  • Hallo liebe JAV-ler,
    das BAG hat am 27.07. ein -u.a. im Zusammenhang mit der Höhe der Vergütung- sehr interessantes Urteil gesprochen zu der Frage, ob Ausbildungsbetriebe die Ausbildungsverhältnis vertraglich individuell gestalten können.
    Hier die wichtigsten Auszüge:


    "Die Ausbildung für einen anerkannten Ausbildungsberuf hat in
    einem Berufsausbildungsverhältnis stattzufinden. Andere Vertragsformen, z. B.
    ein „Anlernverhältnis“, sind gemäß § 26 Berufsbildungsgesetz (BBiG) i. V. m. §
    134 BGB unzulässig. Sie werden als Arbeitsverhältnis behandelt, so dass der
    Arbeitgeber die nach § 612 Abs. 2 BGB übliche Vergütung schuldet (BAG, Urt. v.
    27.7.2010 –3 AZR 317/08 ).
    Der beklagte Malermeister hatte mit der Klägerin statt eines
    Berufsausbildungsvertrags einen „Anlernvertrag“ im Beruf „Maler- und Lackierer“
    geschlossen. Die vereinbarte Vergütung war deutlich niedriger als die für einen
    Arbeitnehmer übliche Mindestvergütung.


    Das LAG hatte den Beklagten verurteilt, der Klägerin die für
    Arbeitsverhältnisse angemessene Entlohnung zu zahlen. Das BAG bestätigte das
    Urteil. § 4 Abs. 2 BBiG bestimmt, dass die Ausbildung für einen anerkannten
    Ausbildungsberuf nur nach der Ausbildungsordnung erfolgen darf. Dafür ist ein
    Berufsausbildungsverhältnis einzugehen. Andere Vertragsformen, sind gemäß § 26
    BBiG i. V. m. § 134 BGB unzulässig und nichtig. Dazu gehört auch ein
    „Anlernverhältnis“. Dieses ist nach den Regeln über das Arbeitsverhältnis auf
    fehlerhafter Vertragsgrundlage (sog. faktisches Arbeitsverhältnis) wie ein
    Arbeitsverhältnis zu behandeln. Der Arbeitgeber schuldet daher die nach § 612
    Abs. 2 BGB übliche Vergütung.


    Das BAG brauchte nicht zu entscheiden, ob sich der Arbeitgeber ohne Weiteres
    vorzeitig aus dem Rechtsverhältnis lösen kann oder ob dies gegen den
    Schutzzwecks des BBiG verstößt, wofür einiges spricht. "


    Was haltet ihr von dem Urteil?
    Habt ihr selbst schon einmal Erfahrungen mit dieser Thematik gemacht?
    Freundliche Grüße,
    F.Celeste

  • Hallo!


    Ich für meinen Teil war nie in der JAV und habe auch keine entsprechenden Erfahrungen aufzuweisen, aber ich muss sagen, dass ich das für ein sehr begrüßenswertes Urteil halte. Die Löhne der Auszubildenden sind heutzutage ohnehin auf einem extrem niedrigen Niveau, diese dann auch noch durch solche anders benannten Verträge zu drücken, ist ein wirkliches Unding...


    Schönen Abend,
    Peter

  • Hallo,


    ich kann mich dem nur anschließen. Azubis werden heutzutage wahrlich nicht mit Geld übergossen. Das soll nicht bedeuten, dass sie es früher besser hatten. Es wäre schon eigenartig, wenn das BBiG so "simpel" durch eine andere Namensgebung zu umgehen wäre.


    Schönen Gruß,


    Jost

  • Hi,


    das Urteil finde ich super. Viele Jugendliche lassen sich auf solche faulen Kompormisse ein, um überhaupt eine Chance am Arbeitsmarkt zu bekommen . Meistens machen die Eltern ja auch richtig Durck - aber das ist oft gar nicht mal so verkehrt.

  • Guten Abend zusammen,


    ich glaube, dass das ganze ein Teufelskreis ist: Viele Ag kämpfen wirklich um ihre Existenz und können es sich faktisch nicht erlauben, die Auszubildenden angemessen zu bezahlen. Nun, wäre die Arbeitsmarktlage ausgeglichen, dann würden die Auszubildenden halt von den Betrieben aufgenommen werden, die es sich schlichtweg leisten können. Unglücklicherweise denken sich eben diese Betriebe, dass sie einen Konkurrenznachteil dadurch hätten, wenn sie mehr bezahlen würden als möglich, und so pendeln sich die Löhne auf dem unerträglichen Niveau ein, auf dem sie momentan sind.
    Allein schon aus diesem Grund ist das Urteil als nichts geringeres als dringend erforderlich zu bezeichnen...


    Karsten

  • Hallo Karsten


    ja, das ist einiges dran. Das stimmt. Das Schlimme an der Sache ist, dass in diesem Fall das Abhängigkeitsverhältnis noch mieser ausgestaltet ist als bei den ausgelernten Fachkräften. Zumeist wohnen die jungen Leute noch bei ihren Eltern und man ist nicht so auf das Geld angewiesen wie jemand der damit auch noch Kinder zu ernähren hat. Wenn dann auch noch der Druck mit hinzukommt, unbedingt eine Ausbildungsstelle ergattern zu müssen, um nicht 1 Jahr Leerlauf in der Vita zu haben , sind viele zu immensen Zugeständnissen bereit.


    Das ganze hat auch einen weiteren Nachteil: Wenn ein Handwerker erst einmal anfängt, derart niedrige Preispolitik zu betrieben und dieses sich sodann auch herumspricht, erwartet der Kundenkreis oftmals, dass man ebenfalls in den Geuss der verbilligten Tarife gelangt. Aus diesem Teufelskreis kommen viele dann nicht mehr heraus.Zumeist reicht das Geld auch nicht aus, um entsprechende Rücklagen bilden zu können. Wenn ein oder mehrere Auftraggeber sich mit dem Geld zuviel Zeit lassen, kann das schnell einmal das Aus für den Betrieb bedeuten.


    LEtztlich schneidet man sich damit immer ins eigene Fleisch.

  • Ich finde das Urteil auch absolut begrüßenswert.
    Wer nicht während der Ausbildungszeit noch bei seinen Eltern wohnt, kommt doch unter keinen Umständen mit dem Geld aus und das wissen viele AGs, gehen aber davon aus, dass die Eltern ihre Kinder nicht im Stich lassen werden.


    LG,
    Hanna

  • Hallo,


    ich hoffe einmal dass diejenigen, die auch mit ihren Azubis auf diese Weise umgehen, aus diesem Urteil lernen und den Vertrag nicht einfach mit " Einführungsverhältnis, Kompetenzzugewinnverhältnis oder berufliches Heranführungsverhältnis" betiteln. Solch eine Gesinnung ist für mich einfach nicht nachvollziehbar; harter Wettbewerb hin; harter Wettbewerb her ...

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