Kündigung wegen des Diebstahls zweier Pfandbons bzw. ...

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  • Das LAG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 24.2.2009 (7 Sa 2017/08 ) die Kündigung einer Supermarkt-Kassiererin wegen des Diebstahls im Gesamtwert von 1,30 Euro bestätigt und damit die Berufung gegen das klageabweisende Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen. Der Rechtsstreit hat bundesweit Aufsehen erregt, nicht nur, weil die Klägerin bereits seit 30 Jahren in dem Betrieb beschäftigt war, sondern sie zudem geäußert hatte, die Kündigung stehe mit ihrer gewerkschaftlichen Arbeit und der Teilnahme an einem Streik in Zusammenhang.
    Am 10.03.2009 wurde vom Arbeitsgericht Dortmund die Kündigung zweier Bäcker wieder aufgehoben, denen zu Last gelegt wurde, Brotaufstrich der Firma geklaut zu haben. Einer von ihnen ist ebenfalls BR-Mitglied.
    Also kein Einzelfall?

  • Hallo Sybille,
    da es bei den beiden Fällen zum erheblichen Teil auf die Vergleichbarkeit der Umstände ankommt, wollte ich fragen, ob
    es u.U. für den unteren Fall auch eine Quelle gibt, anhand derer sich mit der Materie -bisher- weniger Vertraute ein besseres
    Bild machen könnten?

  • Hallo!
    Über den zweiten Fall ist mir auch nichts bekannt, da würde ich mich der Bitte meines "Vorredners" gerne anschließen. Zum ersten Fall habe ich irgendwann einmal gelesen, dass entgegen dessen, was in den Medien weitläufig verbreitet wurde, kein Diebstahl, sondern allenfalls ein Betrug -und zwar auf Kosten derjenigen Person, die die Pfandbons vergessen hatte- vorlag; "allenfalls" deshalb, weil das ganze ja eigentlich Sache der Strafjustiz ist. Ich finde es nicht unbedenklich, dass das LAG Berlin-Brandenburg hier so tut, als hätte es von der Unschuldsvermutung im Strafrecht nie etwas gehört...


    Grüße,
    Ralf Dillan



    PS: Dass es bei der Kündigung aus wichtigem Grund darum ging, dass das Vertrauensverhältnis gestört war, ist mir bewusst und das finde ich auch im Großen und Ganzen verständlich, WENN die in Frage stehende Tat nachgewiesen werden kann. Ein schlichter Verdacht mag zwar ebenfalls Misstrauen auf Seiten des AG hervorrufen, sollte aber als Kündigungsgrund nicht ausreichen dürfen, wie ich finde.

  • Vielen Dank, Sybille!
    Die Unwirksamkeit der Kündigungen des Bäckers resultierte ja offenkundig aus der Nichteinhaltung der Formvorschriften (Zustimmung des BR bzw. Fristüberschreitung) bei fristloser Kündigung eines BR-mitgliedes, wohingegen im Falle der Supermarktkassiererin eine solche BR-Mitgliedschaft wohl nicht vorlag. In dem "Bäcker"-Urteil wird ja ausdrücklich Bezug genommen auf das urteil des LAG Berlin-Brandenburg und eine grundsätzliche Zulässigkeit fristloser Kündigungen bei vom AN begangenen vorsätzlichen Schädigungen zu Lasten des AG (bzw. bereits bei deren Versuch) für gerechtfertigt erklärt.
    Damit sind die beiden Fälle zwar im grunde nur schwer vergleichbar, was mir allerdings in beiden Fällen auffällt, ist, dass ein (wenn auch berechtigter) Verdacht allein anscheinend ausreicht, um sich eines -unliebsamen(?)- AG zu entledigen...

  • Hallo dillan und allen anderen,
    ich bin nicht gerne der advocatus diaboli, aber unabhängig
    davon, ob ein Diebstahl tatsächlich vorgelegen hat oder nur ein
    dahingehender (begründeter) Verdacht: der Grund der fristlosen Kündigung
    ist die Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen AG und AN, und ein
    solches ist gerade bei der Verwaltung von Geldern (aber auch sonst)
    schlicht unerlässlich...

  • Hallo 3eck,


    ich stimme Dir dahingehend zu, dass es niemandem zumutbar sein sollte, an einer Person festhalten zu müssen, von der man schon einmal bestohlen worden ist.
    Nichts desto trotz ist meiner Ansicht nach in der arbeitsrechtlichen Praxis die Tendenz erkennbar, sich diese Rechtsprechung unberechtigt zunutze zu machen. Viele Bereiche im Kündigungsrecht sind vom Ergebnis her gesehen sehr auf den Einzelfall bezogen, was eine Prognose in Bezug auf den Erfolg der Kündigung auch für erfahrene Juristen alles andere als einfach macht. Anders sieht es in diesem Bereich aus: Diebstahl des Arbeitgeber gegenüber ist ein absolutes "No-Go". Davon werden so gut wie keine Ausnahmen gemacht. Dementsprechend bietet sich an, diesen "sicheren" Weg zu begehen, gerade weil das Risiko, arbeitgeberseits mit Abfindungsforderungen konfrontiert zu werden, gering ist. Gerade bei Unternehmen, bei denen der Betriebsrat ein sehr unliebsames Thema zu sein scheint, ist schon mehrfach genau dieser Vorwurf aufgetaucht. Vor diesem Hintergrund sehe ich durchaus die Gefahr, dass sich in der Zukunft noch so mancher Arbeitgeber auf diesem Feld versuchen wird :S

  • Hallo, liebe Forenuser,


    wie ein Großteil von Euch sicherlich schon vernommen haben wird, hat das Bundesarbeitsgericht die Kündigung einer Kassiererin, die in den Medium unter dem Spitznamen "Emmely" gehandelt wird, aufgehoben (Az: 2 AZR 5341/09).
    In der Presse wurde dazu eine geteilte Meinung vertreten. Arbeitgeberverbände sprachen sich weiterhin dafür aus, dass Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers oder gegenüber dem Unternehmen generell auch im Bagatellbereich als "No Go" behandelt sehen zu wollen.
    Was haltet Ihr von dieser Entscheidung ?


    Schöne Grüße,


    Tom

  • Hallo Tom,


    ja, ich habe es auch vernommen .


    Ich weiß noch nicht so richtig was ich davon halten soll. Beide Seiten haben gute Argumente. Ich hätte in der Haut der Richter nicht stecken wollen. Was mich ziemlich irritiert ist, dass man jetzt zwar weiß, dass bei diesen Verhaltensweisen eine Kündigung sui generis nicht immer gerechtfertigt sein muss, sondern Wert auf eine Abmahnung gelegt werden sollte. Andererseits weiß man nun nicht, von wann an eine Abmahnung entbehrlich sein soll. Vorgaben, die sich an materielle Werten orientieren und so zumindest ein "Indiz" geben könnten, fehlen ebenso.


    Damit ist die Rechtsunsicherheit auf diesem Gebiet nicht gerade geringer geworden.

  • Hallo Zusammen,
    hier noch mal die Zusammenfassung der Begründung durch das BAG.


    „Fall Emmely“ - Fristlose Kündigung - unrechtmäßiges Einlösen aufgefundener Leergutbons


    Das Bundesarbeitsgericht hat gestern, am 10.06.2010 unter - 2 AZR 541/09 - entschieden:
    Die Kündigung der Arbeitnehmerin, die zwei Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 EUR eingelöst hat, die nicht ihr gehörten, sondern Ihrem Arbeitgeber, ist unwirksam. Das BAG begründet seine Entscheidung damit, dass die Einbußen durch die Kündigung höher zu werten sind, als die vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers. Eine Abmahnung wäre angemessen und ausreichend gewesen!


    "Letztlich überwiegen angesichts der mit einer Kündigung verbundenen schwerwiegenden Einbußen die zu Gunsten der Klägerin in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte. Dazu gehört insbesondere die über drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störungen verlaufene Beschäftigung, durch die sich die Klägerin ein hohes Maß an Vertrauen erwarb.
    Dieses Vertrauen konnte durch den in vieler Hinsicht atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört werden.


    Im Rahmen der Abwägung war auch auf die vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung der Beklagten Bedacht zu nehmen, so dass eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung angemessen und ausreichend gewesen wäre, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken."


    Viele Grüße, Eure Sybille Wasmund (Moderatorin)

  • Hallo,


    das liest sich alles sehr gut. Ich bin mit dem Ergebnis des Urteils auch sehr zufrieden. Damit hat das BAG all den Machenschaften einen Riegel vorgeschoben, die von der Ansicht geleitet waren, dass man im Falle der Begehung eines Vermögensdelikts, relativ (juristisch) unproblematisch eine rechtlichen Gesichtspunkten standhaltende Kündugung anfertigen kann.


    Nur an eine Frage traue ich mich ebenso wie bereits von Stelko erwähnt nicht heran. IN welchen Fällen ist es (noch) erlaubt, ohne die Aussprache einer Abmahnung einem Mitarbeiter zu kündigen ? In den zur Debatte stehenden Fällen wird in der Zukunft wohl nur die Abmahnung Rechtssicherheit bringen können, auch wenn dem AG damit mitunter einiges zugemutet wird.


    Andererseits denke ich einmal, dass in der kommenden Zeit noch das ein oder andere Urteil zu diesem Kündigungsgrund verlöffentlich werden wird ...



    Schönen Gruß,


    Lorenz

  • Hallo Lorenz,


    ich kann mir auch gut vorstellen, dass man von nun auf Nummer sicher gehen wird und keine außerordentliche Kündigung mehr aussprechen wird. Zumindest dann, wenn man die juristische Beratung extern hinzuziehen könnte. So geht man dan auf jeden Fall auf Nummer sicher. Da hast Du schon irgendwie recht.


    Das ist vielleicht auch gar nicht mal schlecht: Wenn jemand erwischt worden ist, wird er, wenn es erst mal öffentlich gemacht ist, es sicherlich noch einmal tun. Es könnte auch gut sein, dass er von sich aus recht motiviert sein wird, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Zum Nachteil des AG wird es dann kommen, wenn er bleibt und die anderen Kollegen beginnen, ihn zu mobben.


    Gruß,


    Stelko

  • Hmmm, ich muss sagen, dass ich sehr zwiegespalten bin, was das Urteil anbelangt:
    So sehr es mich für die Klägerin freut, in ihrem konkreten Fall Recht bekommen zu haben, muss ich doch sagen, dass ich -wie ja hier auch schon angesprochen- angesichts der Rechtsunsicherheit sehr beunruhigt bin. AG müssen ja jetzt damit rechnen, dass es zu einer schlichten Unsitte wird, hier und da mal einen gefundenen Pfandbon einzulösen oder ähnliches, was unter Bagatellen fällt. Ob ch das wirklich begrüßen mag, weiß ich beim besten Willen nicht...


    Grüße,
    Jörn

  • hmmm. seltsam. ich war letzte woche auf dem betrvg1 kompakt-seminar, der anwesende dozent (und arbeitsrichter) sagte, daß das BAG eigentlich nur das urteil des LAG aufheben kann (und aufgehoben hat), weil formfehler vorlagen. in diesem falle sei das verhalten der "emmely" während des prozesses in das urteil eingeflossen, wärend nur der tatbestand selber und das verhalten bis zum tatbestand bewertet werden darf. somit ist das LAG gehalten, den prozess noch einmal zu führen.


    das hier liest sich eher, als hätte das BAG das thema beendet. was stimmt denn nun?


    grüße aus dem sonnigen herne
    carsten

  • Hallo zusammen!


    Es ist wohl so, dass das BAG die Kündigung aufgehoben hat, weil es die langjährige Beschäftigung der Frau E. berücksichtigt hat, was also keinen formellen, sondern einen materiellen Fehler des LAG-Urteils bedeutet.
    Aber du hast schon Recht: das BAG hat die Sache an das LAG zurückverwiesen, das allerletzte Wort ist zumindest offiziell somit noch nicht gesprochen.


    Grüße,
    Jörn

  • Hallo Jörn!


    Ich glaube nicht, dass das Urteil einen solch demoralisierenden Effekt haben wird: Erstens ist es doch wohl so, dass die meisten AN trotz eines möglichen "Präzedenzfalles" wohl ehrlich sein dürften und die Finger nur dann in die Kasse stecken, wenn sie dazu berchtigt sind.
    Außerdem steht in dem Urteil des BAG wortwörtlich drin, dass das Gericht sich weigern würde, eine Bagatellgrenze zu bestimmen und dass der Einzelfall (weiterhin) maßgeblich sei. Das wiederum dürfte -zumindest meiner Meinung nach- nur von sehr wenigen wirklich als "Einladung" gewertet werden...


    Gruß,
    dillan.

  • Hallo Dillan,


    eine grundsätzliche Ehrlichkeit von AN wollte ich mitnichten in Frage stellen. Gott bewahre!
    Zu deinem zweiten Punkt muss ich allerdings sagen, dass ich bezweifle, dass sich alle das Uretil so genau durchlesen wie du. Es könnte somit durchaus sein, dass alles, was bei dem gemeinen Durchschnitts-MA hängen bleibt, genau das ist, was (viele) Massenmedien -mehr oder minder bewusst- daraus machen: Eine faktische Bagatellgrenze nämlich. Naja, wenn diesen Leuten dann eine Kündigung ausgesprochen wird, die auch vor Gericht Bestand hat, fällt mir persönlich das Mitleidaufbringen auch ziemlich schwer...


    Grüße,
    Jörn

  • Es könnte somit durchaus sein, dass alles, was bei dem gemeinen Durchschnitts-MA hängen bleibt, genau das ist, was (viele) Massenmedien -mehr oder minder bewusst- daraus machen: Eine faktische Bagatellgrenze nämlich.

    Eine Entwicklung dieser Thematik bleibt abzuwarten, wobei vermutlich keiner hier auch nur ansatzweise hofft, dass deine -mit Verlaub- recht pessimistische "Prognose" sich bewahrheitet...


    Freundliche Grüße,
    F:Celeste

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