Gesundheitsprognose bei Kündigungen

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  • Hallo, liebe ForistInnen,


    unser BR hat eine Kündigung vorgelegt bekommen, welche sich auf eine negative Gesundheitsprognose stützt. Im Falle des Kollegen liegt seit Februar 2011 Arbeitsunfähigkeit vor (Burnout), worauf sich die Kündigung bzw deren Begründung stützt. Allerdings gibt es neben dem Zeitraumnachweis kein Gutachten oder ähnliches. Reicht die Angabe einer negativen Prognose durch den AG hier überhaupt aus? Wer ist in einem solchen Fall beweislastpflichtig?


    Wäre prima, wenn irgendwer etwas dazu wüsste.


    Einen sonnigen Tag,
    Petra

  • "Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen."


    Grundsätzlich ist eine Betrachtung der Vergangenheit kaum geeignet, eine Prognose für die Zukunft zu erstellen. Wenn, wie hier, der AN seit 15 Monaten wegen Burnouts AU ist, dann kann man sowohl daraus die Prognose ableiten, dass der Heilungsprozess sehr weit fortgeschritten sein muss und die Arbeitsfähigkeit bald wieder hergestellt sein dürfte, wie auch, dass eine Heilung offensichtlich extrem langwierug und nicht abschätzbar ist.


    Der Arbeitgeber sitzt aber in einer Zwickmühle: er kann und darf den AN nicht untersuchen (lassen). Daher ist es nicht unüblich, erst einmal eine negative Zukunftsprognose zu "basteln" und die Kündigung damit zu begründen, da der AN damit gezwungen wird, an der Aufklärung des Sachverhaltes mitzuwirken. In aller Regel wird er mit einem ärztlichen Attest kontern, welches bestätigt, dass mit einer baldigen Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist.

  • Moin,
    der BR sollte, bevor nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, aus sozialen und menschlichen Gesichtspunkten der Kündigung widersprechen.


    BAG Urteil vom 19.04.2007 - 2 AZR 239/06
    Entscheidungsstichwort (Thema)
    Kündigung. dauernde Leistungsunfähigkeit. Ordentliche krankheitsbedingte Kündigung. dauernde Arbeitsunfähigkeit (24 Monate/Prognose). betriebliche Störungen: Möglichkeit der Vertretung des Langzeit-Erkrankten aus Personalüberhang nach Umstrukturierung (uU auch länger als 24 Monate wegen längerer Laufzeit eines Interessenausgleichs?)
    Orientierungssatz
    1. Die Kündigung ist im Falle lang anhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt - erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist - zweite Stufe - und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen - dritte Stufe -.
    2. Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen.
    3. Die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz - ggf. auch zu geänderten Bedingungen - schließt eine krankheitsbedingte Kündigung aus. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, führt die Krankheit nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen.
    4. Im Rahmen der Prüfung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten kommen jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur solche in Betracht, die entweder gleichwertig mit der bisherigen Beschäftigung sind oder geringer bewertet sind. Das Kündigungsschutzgesetz schützt das Vertragsverhältnis in seinem Bestand und seinem bisherigen Inhalt, verschafft aber keinen Anspruch auf Beförderung.


    Gruß
    bj

  • petschmipet,


    auch wenn es hier rechtlich relativ egal ist, ob der BR zustimmt, schweigt, oder widerspricht, so gehört es sich meines Erachtens doch grundsätzlich, dass ein Betriebsrat einer krankheitsbedingten Kündigung widerspricht, alleine schon um dem Kollegen den Rücken zu stärken.


    Es könnte in dem Zusammenhang auch sinnvoll sein, mit dem Kollegen Kontakt aufzunehmen und ihn nach seiner Prognose zu fragen.

  • Wenn der BR nicht widerspricht, hat der Kollege bei einer anschl. Kündigungsschutzklage keine guten Karten!


    Nach meiner Erfahrung und der gängigen Rechtssprechung hat der AN bei einer ersten krankheitsbedingten Kündigung auch meistens gute Aussichten im Unternehmen bleiben zu können. Die Beweisführung des AG muss derart auladend sein und er muss dazu nachweisen wie er versucht hat diese Erkrankung durch innerbetriebliche Strukturen und Maßnahmen zu vermeiden. Entscheidend ist aber auch noch die Größe des Unternehmens. Bei 500 AN ist es schwieriger eine solche Kündigung durchzubekommen als bei 10 AN!


    Also auf jeden Fall immer widersprechen!

  • Hallo schmuelling,


    da hast Du recht . Es für größere Unternehmen ja auch einfacher, einen alternativen Arbeitsplatz anbieten zu können als für kleinere Unternehmen. Dass sie so mehr unter Zugzwang gesetzt werden, halte ich für mehr als gerecht.


    Viele Grüße,


    Sascha

  • Wenn der BR nicht widerspricht, hat der Kollege bei einer anschl. Kündigungsschutzklage keine guten Karten!


    Sorry, aber diese Aussage ist für mich nicht nachvollziehbar! Bereits bei einer "normalen" Kündigung ist diese Aussage meines Erachtens grundfalsch und erst recht bei einer Krankheitsbedingten Kündigung.


    Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass nur ein Widerspruch der sich auf die in § 102 BetrVG genannten Gründe stützt ein beachtlicher Widerspruch ist und unbeachtliche Widersprüche vor Gericht keine Bedeutung haben?


    Also, worauf soll der BR bei einem Dauerkranken seinen Widerspruch gründen?


    § 102 (2) Abs. 1 (nicht ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte bei der Auswahldes zu kündigenden AN)? Passt doch überhaupt nicht, weil hier keine Auswahl eines AN stattfindet ("Ich kündige nicht den Dauerkranken Huber, sondern den pumperlgesunden Meier, weil der weniger Schutzwürdig ist."?)


    § 102 (2) Abs. 2 (§ 95)? Da können wir in der Regel davon ausgehen dass es keine 95er Richtlinie gibt, die sich mit der Auswahl zu kündigender kranker AN beschäftigt.


    § 102 (2) Abs. 3 (anderer Arbeitsplatz)? Der AN ist AU!


    § 102 (2) Abs. 4 (zumutbare Umschulung oder Weiterbildung)? Das könnte immerhin ein Ansatz sein. Aber der BR kennt häufig diesen AN kaum noch, weiß in der Regel nichts über dessen Krankheitsgeschichte. Der AN ist gegenüber dem BR auch nicht auskunftspflichtig. Der BR wird also in der Regel hierzu gar keine konkrete Aussage machen können.


    § 102 (2) Abs. 5 (geänderte Vertragsbedingungen mit Einverständnis)? Hier gilt eigentlich das gleiche wie bei Abs. 4.



    Der BR hat also in der Regel gar keine Möglichkeit, einen beachtlichen Widerspruch zu formulieren. Es wäre fatal wenn dies zum Nachteil des gekündigten AN wäre.


    Insofern bleibe ich dabei: Moralisch wingend, aber rechtlich völlig unbedeutend.

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